Dreimal waren wir schon in Goslar – doch bisher immer nur für Besprechungen bei der Firma Wilde und zur Abholung von Wiloo – ein kurzer Blick hinein und gleich wieder heraus. Diesmal nahmen wir uns die Zeit, die Stadt wirklich zu erleben. Und wie oft habe ich schon betont, wie sehr uns die deutschen Kleinstädte faszinieren! Während Wiloo kleine Reparaturen über sich ergehen liess, gönnten wir uns eine Stadtführung und tauchten in die Geschichte dieser tausendjährigen Stadt ein.

Goslar, am Nordrand des Harzes gelegen, ist ein Schatzkästchen voller Kultur und Geschichte. Die Kaiserpfalz mit ihrer Ausstellung zum Wanderkaisertum, die malerische Altstadt und das Flair vergangener Jahrhunderte machen sie zu einer echten Perle. Schon 979 wurde der Ort als Bergbauzentrum erwähnt – und entwickelte sich bald zur Stadt. Kein Wunder also, dass Goslar und das Erzbergwerk Rammelsberg seit 1992 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen.
Stell dir eine Stadt vor, die aus dem Silber der Berge geboren wurde: Goslar. Vor über 1000 Jahren entdeckten Bergleute am Rammelsberg reiche Erzvorkommen – und schon bald entstand eine Siedlung, die Kaiser und Könige anzog. Um das Jahr 1025 gründete Kaiser Heinrich II. die Stadt offiziell, und Goslar wurde zur glänzenden Kaiserpfalz, einem der wichtigsten Orte des Reiches. Im Mittelalter blühte die Stadt auf. Der Bergbau brachte Wohlstand, die Münze prägte Geld, und die Kaiser residierten in der prächtigen Pfalz. Goslar war Mitglied im Sächsischen Städtebund und spielte eine bedeutende politische Rolle.
Doch das Leben war nicht nur Glanz und Gloria: Zwei grosse Brände im 18. Jahrhundert zerstörten hunderte Häuser. Trotzdem blieb die Altstadt mit ihren Fachwerkjuwelen erhalten – heute sind es über 1.500 Gebäude, die Besucher in vergangene Zeiten versetzen.

Im Jahr 1254 wurde das «Grosse Heilige Kreuz» als Einrichtung der städtischen Armenfürsorge gegründet. Hier fanden Bedürftige, Gebrechliche und Waisen, aber auch Pilger und andere Durchreisende ein Nachtlager und Versorgung mit Nahrung. Das Ganze wurde mit Spenden der gutbetuchten Einwohner Goslars und den regelmässigen freiwilligen Abgaben der Bergarbeiter finanziert. Der Stadtführer erzählte auch, dass die wohlhabenden Bürger damit das Alter ihrer Bediensteten absicherten – ein frühes Beispiel sozialer Fürsorge. Das Gebäude ist die älteste erhaltene bürgerliche Anlage Deutschlands. Im 17. Jahrhundert entstanden kleine «Pfründnerstübchen» – winzige Wohnräume für die Bewohner, ausgestattet mit Bett, Schrank und Tisch. In ganz Deutschland einzigartig. Mit modernen Altenwohnungen in einem Seitenflügel erfüllt die Einrichtung noch heute, 750 Jahre nach der Gründung, ihre soziale Aufgabe. Die Räume im Erdgeschoss werden von Kunsthandwerkern belebt, die ihre Werke dort ausstellen und verkaufen.
Die Geschichte des Bergbaus endete erst im 20. Jahrhundert, doch die Spuren sind geblieben. Natürlich liessen wir uns die Führungen im Bergwerk nicht entgehen. Die erste Fahrt mit der Bimmel-Bahn in die Stollen war alles andere als bequem: gebückt, wie in einem Käfig, wurden wir ordentlich durchgeschüttelt.
Doch die Eindrücke waren unbezahlbar – ein Blick in den harten Alltag der Bergarbeiter, der kaum Worte braucht: schlicht grausam.
Die zweite Führung im ehemaligen Erzbergwerk Rammelsberg führte uns zu den gigantischen Wasserrädern. Ingenieurskunst pur: Um dem Wassermangel zu trotzen, bauten die Bergleute einen Stollen, in dem mehrere Räder hintereinander mit demselben Wasser angetrieben wurden. Genial und beeindruckend zugleich. Als das Licht ausging und nur kleine Öllampen den Stollen erhellten – was zu jener Zeit normal war -, war die Atmosphäre gespenstisch und wir verstanden, warum damals Spukgeschichten kursierten.
Da Marcel weitere Termin für Wiloo organisiert hatte, war die Zeit gekommen, Goslar Richtung Norden zu verlassen.



































